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gedanken oder geschichten - weiss auf schwarz / мысли или рассказы - белым по чёрному
Gedanken an einer Ampel.
Ich weiss ganz genau wann diese Ampel auf gruen umspringt. Man muss nur bis 10 zaehlen. Ich weiss auch, dass ich genau 15 Minuten brauche bis ich meine Arbeitstelle erreicht habe. Das Leben besteht aus vielen Minuten. Es passiert jede Minute etwas. Jede Minute ist kostbar. Die Hektik des Alltages zwingt uns jede auch so unwichtige Minute zu zaehlen.
Was waere, wenn wir die Zeit anhalten wuerden? Wuerde dies - nie wieder zu spaet kommen, niemals aelter werden und nur hartgekochte Eier essen bedeuten?
Neun, Zehn. Die Ampel wird gruen. Ich bleibe aber stehen. Ich mache mein Auto aus, lehne mich zurueck und geniesse das Anhalten der Zeit. Ich hoere hinter mir das hektische Hupen anderer Fahrzeuge und das Schimpfen einiger Fussgaenger. Die Ampel wird zum fuenften Mal gruen. Ich sehe einen Mann, der zu mir eilt: Ich habe Polizei gerufen. Sie muessen jede Minute kommen.
Ich laechele.
***
Naechtliche Gestalt
Hinter dem Fenster breitete sich eine kalte, nasse Nacht aus. Ich stand am Fenster und starrte in die Dunkelheit. Das mache ich sehr oft, wenn ich nicht einschlafen kann. Die Dunkelheit und die Stille der Nacht wirken sehr beruhigend auf mich.
Die Strasse am Fusse meines Hauses war von einer einzigsten Laterne, die tagsueber so schaebig aussah und jetzt wie eine Koenigin der Strasse um sich strahlte, kaum beleuchtet.
Ich beobachtete lose Blaetter, die in dieser Nacht einzig lebendiges - das Leben - darstellten. Alles blieb still, nur diese Blaetter wirbelten am Boden und baten mit einem leisen Fluestern den Wind um Ruhe. Der Wind aber war in dieser Nacht besonders verspielt: Er wirbelte rum und versuchte einige der nassen Blaetter vom Boden zu heben. Bei einigen ist es ihm auch gelungen, doch diese schwere und, wie es mir schien, vollkommen deprimierte Blaetter, die noch gestern an Aesten hingen und mit dem Wind flirteten, knallten mit voller Wucht auf den Boden und klebten noch fester am nassen Asphalt. Sie wollten ihre Ruhe haben.
Ruhe herrschte auch in meiner Wohnung. Ruhe und die Dunkelheit. Ich machte auch die letzte Kerze aus um eins zu werden mit der Nacht und ihrer schwermutiger Dunkelheit.
Ich beobachtete das Spiel des Windes als ploetzlich eine Gestalt, die aus dem Schwarze der Nacht kam, sich durch unsere Strasse entlang schlich und sich ganz vorsichtig umguckte. Ein dunkler Mantel, der hinter sich am nassen Boden eine Spur hinterliess, umhuellte eine Person, die, wie es mir erschien, nach etwas suchte: sie schaute in die Fenster, auf die Haeuser und auf die Daecher.
Die Gestalt mit ihren Schleichbewegungen hatte etwas boeses und unruhiges in sich. Als sich ihr Kopf zu meinen Fenstern, zu mir drehte, musste ich mich aus Furcht hinter meiner Vorhaengen verstecken. Ein Schauer lief mir ueber den Ruecken. Sie schaute sehr lange in meine Richtung, sie beobachtete das Haus, in dem ich wohne. Dann drehte sie ihr Kopf von mir. Sie hat mich in der Dunkelheit meiner Fenster nicht entdecken koennen.
Ich blieb versteckt und beobachtete weiter die Gestalt. Direkt unter der Laterne drehte sie sich nach hinten und ich sah ihr Blick: Es war nichts menschliches, ihr Blick war voller Sehnsucht, voller Sucht nach etwas, was fuer diese Augen alles bedeutete.
Im Haus gegenueber machte jemand das Licht an. Die Gestalt blieb stehen und ich sah ein Laecheln, ein boesartig zufriedenes Laecheln. Sie bewegte sich auf das Haus zu, in deren Fenster das Licht brannte und verschwand in seinem Hinterhof.
Ich trank mein Tee aus und legte mich hin. Ich dachte sehr lange an die naechtliche Gestalt bis mich der Schlaf aus dem Leben, mit seinen komischen Geschichten entriss.
Am naechsten Abend erzaehlte mir meine Nachbarin von einem Todesfall in unserer Nachbarschaft. Sie zeigte mir auf das Fenster, in dem heute Nacht das Licht brannte und sagte, dass der Tod ploetzlich kam ... und so einen jungen Mann ganz unerwartet aus dem Leben riss. Herzversagen.
Ich mache nie das Licht in der Nacht an. Aber die Zeit wird kommen und mit ihr auch die naechtliche Gestalt.
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Herbstgedanken
Der schwangere Himmel erdrueckt mich.
Der dicke Nebel schleicht sich wie ein hinterhaeltiger Feind
an mich ran.
Leise ueberfaellt er mich, in dem er in mich ganz weich eindringt.
Er saugt sich in jeden auch so kleinen Riss an meinem Koerper ein.
Ich spuere wie mein Koerper schwerelos wird.
Schwerelos und aufgeblaeht.
Aufgeblaeht wie eine ertrunkene Leiche.
Der schwangere Himmel und seine Hebamme Nebel ertraenken mich.
Mein Koerper droht zu platzen.
Platzen in Hunderte von kleinen Stuecken.
Stuecke, die noch so viele Wuensche haben,
so viele Traeume und so viel Liebe besitzen.
Der Himmel ergriff Besitz ueber mich.
Er verpackt mich wie ein kostbares Geschenk.
Nebel ist sein Geschenkpapier.
Ich bin eins mit dem Himmel,
der jede Sekunde sein Kind
Herbstregen in diese Welt hinein gebaert.
27.09.2002
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